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Juli 2008 Geschichtskorrespondenz

Walter Ulbricht und die Blockpolitik

Prof. Dr. Gerhard Fischer

Hinter der Frage, wie sich Walter Ulbricht zur Blockpolitik verhielt, steht die umfassendere Frage: Welche Haltung vertrat er in der Bündnispolitik? Ich möchte mit fünf Thesen eine Antwort darauf versuchen.

Dreh- und Angelpunkt des Denkens und Wirkens von Walter Ulbricht war das Bestreben, die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei durchzusetzen, so wie sie zu seiner Zeit verstanden wurde. Aber als Realpolitiker wusste er auch, dass die Arbeiterklasse und ihre Partei die antifaschistisch-demokratische Ordnung nicht allein errichten, den Sozialismus nicht allein aufbauen, den Frieden nicht allein sichern konnten; dazu waren die Aufgaben zu schwierig und die Bedingungen für ihre Lösung zu kompliziert. Um die Probleme zu bewältigen, brauchten sie Partner - die Arbeit musste von möglichst vielen demokratischen Kräften getragen werden. Verständnis für diese Zusammenhänge war bei Walter Ulbricht vor allem in der Zeit der Nazidiktatur und des antifaschistischen Kampfes gereift.

Auf dem VII. Weltkongress der Komintern befürwortete er u. a. das Zusammengehen mit christlichen Hitlergegnern. Die vielen Appelle der KPD-Führung in dieser Richtung, die sich namentlich mit den Konferenzen von "Brüssel" und "Bern" verbinden, und die Anfänge einer Deutschen Volksfront in Paris wurden von ihm mitverantwortet. Er nahm aktiv an der Arbeit des Nationalkomitees "Freies Deutschland" teil und leitete die Kommission des Politbüros, die seit Anfang Februar 1945 das Aktionsprogramm für dien "Block der kämpferischen Demokratie" ausarbeitete, eine Richtschnur für die Aktivität der Kommunisten beim demokratischen Neuaufbau im Nachkriegsdeutschland und eine Grundlage für den Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945.

Für die Zeit unmittelbar nach der Befreiung unseres Landes wird Walter Ulbricht der Ausspruch zugeschrieben: "Es muss alles demokratisch aussehen, aber wir" - das heißt die Kommunisten - "müssen alles in der Hand behalten." Ich glaube dennoch: Für Ulbricht war die Bündnispolitik mehr als bloße Fassade. Sie war ihm natürlich - wie jedem Politiker jegliche Politik - Mittel zum Zweck, aber zu einem Zweck, der in seinen Augen, wie in den Augen der SED überhaupt, richtig und notwendig war und im Interesse aller Fortschrittskräfte lag: den Faschismus mit der Wurzel auszurotten, unser gesellschaftliches Leben demokratisch zu erneuern und zu gewährleisten, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehe.

Diese Überzeugung bestimmte Ulbrichts Position auch zu den bürgerlich-demokratischen Parteien in jener Periode: Er wollte mit ihnen, wie er einmal mit Bezug auf Andreas Hermes sagte, ein Stück Weges gemeinsam gehen. Die Länge dieses Wegstücks hing zu einem Gutteil von der Haltung seiner jeweiligen Partner ab. Manche Wege trennten sich früher oder später; andere führten weiter, bis zur gemeinsamen Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft in der DDR.

Ob das gelang, hing spätestens seit der 2. Parteikonferenz der SED 1952 davon ab, ob die Partner bereit waren, die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei anzuerkennen. In diesem Falle war Walter Ulbricht willens und imstande, mit ihnen ehrlich zusammenzuarbeiten - sei es im Demokratischen Block und in der Nationalen Front, sei es in der Volkskammer oder im Ministerrat. Sobald er gegenläufige Tendenzen vermutete, schlug seine Bereitschaft zur Gemeinsamkeit ins Gegenteil um. Ein einziges Beispiel: Im Januar 1953 wurde der stellvertretende CDU-Vorsitzende Georg Dertinger verhaftet. Der hatte in Kleinmachnow gewohnt und der dortigen CDU-Ortsgruppe angehört, war aber als Außenminister auch in der CDU-Betriebsgruppe "Ministerien" erfasst und hatte dort Vertraute. Kurz nach seiner Inhaftierung erklärte Ulbricht, ihm sei keine gesetzliche Bestimmung bekannt, die den bürgerlich-demokratischen Parteien erlaube, Betriebsgruppen zu bilden. Wir in der CDU-Parteileitung erfuhren von dieser Äußerung durch die Veröffentlichung im "Neuen Deutschland". Eigentlich hätten wir erwidern können, uns sei auch keine gesetzliche Grundlage für die Tätigkeit von Betriebsorganisationen der SED bekannt. Allerdings wäre das wohl der CDU nicht gut bekommen. Also lösten wir sämtliche CDU-Betriebsgruppen auf. Mit anderen Worten: Eine gewisse Ambivalenz, abhängig von der jeweiligen Situation, lässt sich der Haltung Ulbrichts in Fragen der Blockpolitik nicht absprechen.

Mit wachsender Festigung der DDR und ihrer Gesellschaftsverhältnisse stabilisierten sich bei Walter Ulbricht die positiven Wertungen der Blockpolitik. Vorschläge und Hinweise der anderen Parteien nahm er bereitwillig auf. Das erwies sich etwa bei der Initiative der CDU zur Einführung der staatlichen Beteiligung an Privatbetrieben 1956, und das setzte sich ab 1960 auf höherer Ebene fort, also seit seiner Wahl zum Vorsitzenden des Staatsrates, in den er sofort führende Vertreter der anderen Parteien als seine Stellvertreter oder als Mitglieder berief. Dafür spricht auch, was er auf SED-Parteitagen in jener Zeit über die Rolle der befreundeten Parteien äußerte.

Bedeutsam war in dieser Hinsicht nicht zuletzt, dass Ulbricht der Existenz und Aktivität der betreffenden Parteien einen hohen Stellenwert für die Außenwirkung der DDR beimaß und dass umgekehrt ihm Auslandsreisen neue Erkenntnisse vermittelten. So bekannte er nach einem Aufenthalt in der VAR zur Zeit Nassers, er habe in diesem vom Islam geprägten Land deutlich gemerkt, dass weltanschaulich ganz unterschiedliche Motive zur Entscheidung für einen sozialistischen Weg führen könnten.

In Erinnerung bleiben in diesem Zusammenhang Ulbrichts Zusammenkunft mit einer Delegation christlicher Bürger unter Leitung des Leipziger Theologieprofessors D. Emil Fuchs am 9. Februar 1961 und Ulbrichts Wartburg-Gespräch mit dem Thüringer evangelisch-lutherischen Landesbischof Moritz Mitzenheim am 18. August 1964 - zwei Begegnungen, die meine damalige Partei mit vorbereitet hatte bzw. in ihrer Arbeit umfassend auswertete. Davon wird auf unserem Kolloquium noch gesondert die Rede sein.

Erfahrungen der genannten Art wiederum bestärkten Walter Ulbricht offenbar in der Annahme, in der DDR bilde sich eine sozialistische Menschengemeinschaft heraus. So rief er auch die mit der SED befreundeten Parteien wiederholt dazu auf, von den Interessen des ganzen Volkes auszugehen und Verantwortung für das gesellschaftliche Ganze zu übernehmen. Diese Entwicklung brach nach dem VIII. Parteitag der SED nicht ab, aber setzte sich - um es zurückhaltend auszudrücken - in sehr modifizierter Weise fort. Doch das ist schon nicht mehr der Zeitraum, der hier zur Debatte steht.